Blick auf das Tottenham Stadium während eines NFL-Spiels – die Minnesota Vikings bereiten sich auf ihr Europa-Abenteuer vor.
Blick auf das Tottenham Stadium während eines NFL-Spiels – die Minnesota Vikings bereiten sich auf ihr Europa-Abenteuer vor.

Die NFL hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte bei der Internationalisierung gemacht. London ist längst fester Bestandteil des Spielplans, Deutschland hat sich mit München, Frankfurt und Berlin als Top-Standort etabliert, und nun folgt der nächste große Schritt: ein Regular-Season-Spiel in Irland. Doch damit nicht genug – die Minnesota Vikings schreiben in dieser Saison Geschichte. Sie sind das erste Team, das in aufeinanderfolgenden Wochen gleich zwei internationale Spiele in unterschiedlichen Ländern bestreitet: zunächst in Dublin gegen die Pittsburgh Steelers (Week 4), danach in London gegen die Cleveland Browns (Week 5).

Was für Außenstehende wie eine Bürde wirkt, ist für die Vikings eine bewusste Entscheidung – und eine riesige Chance.



Warum gerade die Vikings?

Als die NFL im Frühjahr 2025 beschloss, die internationale Expansion noch mutiger anzugehen, stellte sich die Frage: Welches Team eignet sich für ein solches Experiment? Schließlich geht es nicht nur darum, zwei Spiele fernab der Heimat zu bestreiten, sondern auch die logistischen und sportlichen Herausforderungen zu meistern.

Die Wahl fiel schnell auf die Minnesota Vikings. Auf den ersten Blick mag das überraschend wirken, doch die Franchise verfolgt schon seit Jahren eine klare Internationalisierungs-Strategie. Die Besitzer Zygi und Mark Wilf engagieren sich stark im Global Markets Program der NFL, das es Teams erlaubt, Marketingrechte in bestimmten Ländern zu übernehmen. Die Vikings gehören zu den Pionieren in Großbritannien – und verfügen dort mittlerweile über eine breite Fanbasis.

Laut Keisha Wyatt, Director of International Marketing der Vikings, zeigen Marktforschungen, dass bis zu 60 % der Zuschauer in London Vikings-Fans sein werden. Selbst in Dublin, wo es das erste NFL-Spiel überhaupt gibt, wird mit etwa 40 % Unterstützung für Minnesota gerechnet. Für ein Team, das offiziell als „Gastmannschaft“ geführt wird, bedeutet das: zwei gefühlte Heimspiele in Folge.

„Wir sind ein Club, der natürlich seine eigenen Ziele verfolgt, aber wir wollen auch aktiv dazu beitragen, dass die Liga wächst“, erklärt Mark Wilf. „Je größer die NFL international wird, desto größer wird die Begeisterung. Und am Ende profitieren alle davon.“



Logistische Mammutaufgabe

So viel Euphorie – doch der Aufwand dahinter ist gigantisch. Rund 240 Personen umfasst die Reisegruppe der Vikings, bestehend aus Spielern, Coaches, medizinischem Staff, Analysten, Betreuern und Mitarbeitern aus der Business-Abteilung.

Schon Monate vor dem Abflug liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Equipment-Manager Mike Parson musste akribisch planen: jedes Trikot, jedes Stück Tape, jede Hantel, jede Schraube musste katalogisiert werden – inklusive Herkunftsland und Wertangabe. Am Ende entstand eine Materialliste von über 100 Seiten.

Um die schiere Masse zu bewältigen, schickte das Team bereits Ende Juni zwei LKW-Ladungen per Frachtschiff über den Atlantik. In Dublin warten Teile davon im IRFU High Performance Centre, wo die Vikings trainieren. Der Rest wird nach London weitertransportiert, wo die Mannschaft im Hanbury Manor untergebracht sein wird.

„Die Planung für diesen Trip bestimmt unser ganzes Leben, bis er vorbei ist“, sagt Parson. „Wir denken an jedes mögliche Problem und versuchen schon vorher, eine Lösung parat zu haben.“



7.000 Mahlzeiten in zehn Tagen

Auch kulinarisch ist die Reise ein Kraftakt. Ben Hawkins, Head Performance Dietitian der Vikings, kalkuliert für die gesamte Zeit über 7.000 Mahlzeiten. Pro Spieler gibt es bis zu vier Mahlzeiten täglich, dazu Snacks, Shakes und Spezialpläne für einzelne Athleten.

Wie bei internationalen Spielen üblich, wurden bestimmte Lebensmittel wie Pancake-Mix, BBQ-Saucen oder Gatorade schon im Voraus verschifft. Frische Zutaten werden vor Ort eingekauft, ergänzt durch Food-Trucks, die direkt an den Hotels oder Trainingsstätten der Vikings stehen. Ziel ist es, einerseits Vertrautheit zu schaffen – andererseits aber auch ein Stück lokale Kultur einzubauen.



Schlafrhythmus und Spielroutine

Sportlich haben die Vikings einen klaren Vorteil: Sie sind erfahren im Umgang mit internationalen Spielen. Unter Head Coach Kevin O’Connell haben sie bereits zweimal in London gespielt – und beide Male gewonnen.

Der Schlüssel: das ausgeklügelte Zeitmanagement von Tyler Williams, Vice President of Player Health and Performance. Williams setzt auf eine Kurzzeit-Akklimatisierung. Das bedeutet: spät in der Woche anreisen, sofort aktiv werden, und die Spieler gar nicht erst in den Jetlag fallen lassen.

„Wir geben Melatonin, sorgen für viel Sonnenlicht, Kaffee, Bewegung. Nach der Landung geht es direkt zu einem Walkthrough-Training. Innerhalb von 48 Stunden ist das Spiel vorbei – und der Körper merkt kaum etwas“, erklärt Williams.

Für Dublin wird derselbe Plan verfolgt. Der Unterschied: Diesmal bleibt das Team in Europa, fliegt am Montag nach London und hat dort eine komplette Trainingswoche. Damit entfällt das Hin-und-Her über den Atlantik – ein Vorteil, den viele Beobachter zunächst übersehen haben.



Chancen und Bedenken

Natürlich bedeutet ein 10-tägiger Trip weit weg von der Heimat auch Verzicht. Viele Spieler sind es gewohnt, dass Familie oder Freunde sie bei Auswärtsspielen begleiten. Nach Dublin oder London ist das nicht so leicht möglich.

Linebacker Jonathan Greenard reagierte zunächst skeptisch, als der Spielplan veröffentlicht wurde. Unter einem Instagram-Post mit den Worten „Back-to-Back International Games“ kommentierte er schlicht „SMH“ („shaking my head“). Später stellte er klar: Es ging weniger um sich selbst, sondern um den Aufwand für seine Angehörigen.

Trotzdem überwiegt die positive Sichtweise. „Es ist wie im Urlaub: Nach einer Woche will man eigentlich schon wieder nach Hause“, sagt Williams. „Aber wenn wir erst Dublin haben und dann gleich London, ist der Zeitpunkt perfekt. Genau dann, wenn es sich zu ziehen beginnt, kommt das nächste Spiel – und danach geht’s zurück.“

Als Belohnung folgt direkt danach die Bye Week. Spieler und Coaches haben also Zeit, durchzuatmen.



Wettbewerbsvorteil statt Nachteil?

Während viele andere Teams froh waren, nicht für dieses „Experiment“ ausgewählt worden zu sein, sehen die Vikings eine große Chance. Durch die starke Fan-Unterstützung in beiden Stadien könnten zwei nominelle Auswärtsspiele faktisch zu Heimspielen werden.

Außerdem: Statt zweimal innerhalb weniger Tage über den Atlantik zu fliegen, bleibt das Team durchgängig in Europa. Weniger Zeitzonenwechsel, weniger Jetlag, weniger Belastung.

„Wenn schon zwei Spiele international, dann am liebsten direkt hintereinander“, betont Williams. „So machen wir es zu unserem Vorteil.“



Die NFL testet – und die Vikings liefern

Auch für die Liga ist dieser Trip ein Experiment. Zwar haben die Jacksonville Jaguars schon mehrfach Back-to-Back in London gespielt, doch der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Ländern ist neu.

Peter O’Reilly, NFL-Vizepräsident für internationale Events, erklärt: „Wir lernen bei jedem Spiel dazu. Mit den Vikings haben wir ein Team, das die Internationalisierung wirklich lebt. Wir sind überzeugt, dass dieser Trip wegweisend für die Zukunft ist.“

Und Vikings-Coach Kevin O’Connell sieht es ähnlich: „Ich vertraue unserem Staff zu 100 Prozent. Wir zeigen, dass man so etwas nicht nur übersteht – sondern erfolgreich gestalten kann.“



Fazit: Ein historisches Abenteuer

Ob aus Marketingsicht, logistischer Perspektive oder sportlich auf dem Feld – dieser Trip ist historisch. Kein NFL-Team war je so lange am Stück außerhalb der USA unterwegs. Kein Team musste zwei internationale Spiele in verschiedenen Ländern innerhalb von zehn Tagen bestreiten.

Die Minnesota Vikings aber haben nicht nur zugestimmt – sie haben es aktiv gewollt.

Es ist ein mutiger Schritt, der den Club enger mit europäischen Fans verbindet, der der Liga wichtige Erfahrungen liefert und der am Ende vielleicht sogar sportlich ein Vorteil sein könnte.

Für die Vikings gilt also: Dublin und London sind mehr als nur Spiele. Es ist eine Investition in die Zukunft – und ein Statement, dass Minnesota bereit ist, die NFL-Geschichte in Europa aktiv mitzugestalten.



👉 Was meinst du: Ist so ein Trip ein echter Vorteil für die Vikings – oder werden die Strapazen am Ende doch zu viel?

👉 Bist du in Dublin dabei? Dann lies hier!